Die drei Klavierstücke op. 117 entstanden gemeinsam mit den Fantasien op. 116 im Sommer 1892 in Bad Ischl. Als einziger der vier späten Klavierzyklen besteht op. 117 nur aus ruhigen (Andante moderato, Andante non troppo, Andante con moto) „Intermezzi“, die zudem fast durchgehend im Piano- oder Pianissimobereich ablaufen. Die Melodik vor allem des ersten und dritten Stückes ist einfach, volksliedhaft, beide Stücke sind in einfacher variierter dreiteiliger Liedform, während das b-moll-Intermezzo (Nr. 2) Elemente der Sonatenhauptsatzform erkennen lässt. Alle drei Stücke sind im Charakter von tiefem, melancholischem Ernst.
Dem Es-Dur-Intermezzo Nr. 1 stellte Brahms den Anfang eines schottischen Gedichtes aus Johann Gottfried Herders „Stimmen der Völker in Liedern“ voran: „Schlaf sanft, mein Kind, schlaf sanft und schön! Mich dauert’s sehr, dich weinen sehn.“ Die textgetreue Melodie, basierend auf einer absteigenden Tonleiter und einem anschließenden Dreiklang, schwingt in „wiegendem“ 6/8-Takt und wird bei jeder Wiederkehr vielfach variiert, ohne dabei ihre einfache Grundstruktur aufzugeben. Der in steter Folge Viertel-Achtel pulsierende Rhythmus wird ganz dezent durch etwas schwerere Bass-Auftakte überlagert, die zudem jeweils die Harmonie des folgenden Taktes vorwegnehmen, so dass ein wunderbar subtiler Schwebezustand zwischen schweren und leichten Taktteilen entsteht. Zusammen mit der eingängigen Melodie entsteht so eine Musik von bewegender Schönheit. Der Mittelteil in es-moll verwendet kurze Motive aus der Anfangsmelodie wie Bruchstücke und verändert sie zu sehr ausdrucksstarken „Seufzern“. Diese wechseln durch verschiedene Lagen und verstärken so den Eindruck vom Verlust des Melodischen. Die anschließende variierte Wiederkehr der Anfangsmelodie wirkt dadurch umso magischer.
Das b-moll-Intermezzo Nr. 2 ist formal und harmonisch das komplizierteste der drei Stücke. Aus einer durchgehenden 32stel-Kette mit arpeggierten Akkorden schälen sich die Spitzentöne als kurze Zweitonmotive zu einer Melodie heraus. Diese wird nach einer Ritardando-Beruhigung akkordisch in Des-Dur variiert und fortgesponnen, was entfernt an das zweite Thema eines Sonatensatzes erinnert. Nach erneutem Ritardando folgt eine Art Durchführungsteil, der sich in mehreren Wellen zu einem großartigen, bewegten und bewegenden Höhepunkt steigert. Dessen absteigende Dreiklänge klingen in der folgenden akkordischen Variante des Anfangsthemas – man könnte sagen: eine variierte Reprise – wie aus großer Entfernung nach.
Das abschließende cis-moll Intermezzo Nr. 3, beginnt mit einem einfachen, überwiegend aus Sekundschritten bestehenden unisono-Thema, dessen Zweierbindungen an die Zweitonmotive des vorangegangenen Stückes erinnern. Wie die Melodie von Nr. 1 wird es bei jeder Wiederkehr variiert, zunächst mit wenigen Harmonien angereichert, sich dann in immer weiteren Kreisen um dieses harmonische Zentrum bewegend. Ein zweites Thema aus auf- und absteigenden Dreiklängen mit einfachem Kadenzschluss erscheint dagegen insgesamt dreimal quasi unverändert. Der deutlich abgesetzte Mittelteil in A-Dur bringt nach dem sehr melancholischen und dunklen Anfangsteil eine deutliche „Aufhellung“, die sich außer in der Tonart auch in schnellerer Bewegung („Più moto“), luftigerem Klaviersatz, großen Intervallsprüngen und einer sehr lebendigen synkopischen Verschiebung (um ein Sechzehntel nach vorn) äußert. Die Rückkehr des elegischen Anfangsteils kündigt sich in einem harmonisch wunderbaren Übergangsteil an, der zweimal in einer ausdrucksvollen Fermate verharrt. Am Schluss erstarrt das Stück nach einem „Più lento“ und folgendem „rit. molto“ in einem dunklen cis-moll-Akkord.