Klebe_100, Festival zum 100. Geburtstag von Giselher Klebe in Detmold, vom 24.10. bis zum 14.12.2025

künstlerische Leitung Christian Köhn

Vor 100 Jahren, am 28. Juni 1925 wurde in Mannheim Giselher Klebe geboren. Er war einer der national und international erfolgreichsten Komponisten seiner Generation; noch in den 70er Jahren wurden seine Opern im In- und Ausland häufiger inszeniert und aufgeführt als z. B. die seines Zeitgenossen Hans Werner Henze.

Giselher Klebe starb am 5. Oktober 2009, und seither sind er und seine Kompositionen aus dem Bewusstsein der Musikwelt weitgehend verschwunden. Die bislang letzte Opernproduktion „Der jüngste Tag“ am Landestheater Detmold fiel 2020 nach wenigen Aufführungen der Corona-Pandemie zum Opfer, von seinem Gesamtwerk sind lediglich die Kompositionen für Klavier bzw. Klavierduo und für Violine auf insgesamt drei CDs verfügbar, daneben ein paar wenige Kammermusikstücke für Kontrabass solo oder für Horn und Klavier. Dem steht ein Gesamtwerk von mehr als 140 Kompositionen gegenüber, das zwar fast vollständig in sehr guten Ausgaben (das Frühwerk bei Bote & Bock, danach Bärenreiter) zugänglich ist, aber was man nicht hören kann, wird nicht gespielt, und was nicht gespielt wird, kann man nicht hören…

Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen und Klebes Musik, mit der ich mich seit fast 40 Jahren intensiv auseinandergesetzt habe, wieder ins Bewusstsein von Musikern und Hörern zu rücken, habe ich vor gut zwei Jahren begonnen, an der Hochschule für Musik Detmold, wo er mehr als 30 Jahre lehrte, aus Anlass seines bevorstehenden 100. Geburtstages ein Festival zu planen, dass einen breiten Querschnitt aus seinem Gesamtwerk beinhalten wird.

Die intensive Beschäftigung mit seiner Musik, darunter die Mitwirkung bei mehr als zehn Uraufführungen, haben mein musikalisches Leben bereichert und geprägt, die Freundschaft zu ihm war eines der großen, unverdienten Geschenke meines Lebens. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass ich mir mein Musikerleiben ohne ihn und seine Musik nicht vorstellen kann.

Als ich deshalb 2023 die ersten Anfragen an meine Kolleginnen und Kollegen an der Hochschule stellte, war es mir eine große Freude, dass fast alle von ihnen nach dem ersten Anhören bzw. Lesen von ein paar Stücken mir überrascht antworteten, welche Qualität diese ihnen zuvor fast immer unbekannte Musik habe, und mir sofort ihre Beteiligung zusagten. Die Liste der am Festival Mitwirkenden umfasst inzwischen – ohne die beiden beteiligten Orchester – mehr als fünfzig Personen. Sie alle haben zusagt, obwohl die allermeisten von ihnen die Werke neu einstudieren müssen. Hinzu kommt ein wunderbares Engagement der Musikwissenschaftler der Hochschule bzw. der Universität Paderborn, die nicht nur eine Ausstellung über Klebe konzipieren, das Programmbuch gestalten und die Konzerteinführungen geben werden, sondern auch ein Symposium mit Gastvorträgen und Diskussionen durchführen werden und schon jetzt die Wiederbelebung einer „Klebe-Forschung“ ins Auge gefasst haben. Nicht zuletzt wird das ganze Projekt organisatorisch und auch finanziell vom Rektorat der Hochschule unterstützt.

Das Festival beginnt mit der Studienjahreseröffnung am 24. Oktober im Konzerthaus Detmold, bei der Daniel Steppeler als Solist mit einem Ensemble unter der Leitung von Florian Ludwig die „Soirée für Posaune und Kammerensemble“ spielen wird. Gleichzeitig wird im Foyer des Konzerthauses die Klebe-Ausstellung eröffnet, die wunderbare Exponate zeigen wird: neben Autographen, Fotos, Briefen usw. z.B. auch eine handschriftliche Gratulation von Igor Strawinsky an Klebe, außerdem Zeichnungen und Bilder, die Klebe in seiner Jugend angefertigt hat, als er noch unentschieden war, Maler oder Komponist zu werden (seine älteste Tochter Sonja ist dann Malerin geworden, und er selbst hat sich in Kompositionen immer wieder von Werken der Bildenden Kunst inspirieren lassen). Am nächsten Tag findet unter meiner Leitung eine Gesprächsrunde mit Angehörigen und ehemaligen Freunden des Komponisten statt, bei der wir vor allem an den Menschen Giselher Klebe erinnern wollen; zur Einrahmung wird es zwei live gespielte Musikbeiträge geben. Am 29. Oktober spielt die Nordwestdeutsche Philharmonie Herford unter der Leitung von Dirigierstudierenden der Hochschule zwei Klebe-Werke, außerdem die Paganini-Variationen seines Lehrers Boris Blacher, eine Symphonie seines großen Vorbilds Haydn und eine Uraufführung von Uliana Saulina. Es folgt am 11. November ein Konzert des Detmolder Kammerorchesters unter der Leitung von Daniel Stabrawa (langjähriger erster Konzertmeister der Berliner Philharmoniker). Eckhard Fischer und ich spielen als Solisten das Poéma lirico für Violine, Klavier und Streichorchester. Drei Tage später findet unter dem Titel „Kunst kommt von Verantworten. Giselher Klebe als Komponist – ein Rückblick“ das genannte Symposium statt, bevor dann am 15. Und 16. November das zentrale Konzertwochenende mit drei Konzerten folgen wird: Samstagabend das Programm „Instrumentale Kammermusik“, Sonntagvormittag „Klavier und Orgel“ und Sonntag am frühen Abend „Vokale Kammermusik und Lied“. Eine Woche später, also am 23. November folgt eine gekürzte und halbszenische Aufführung der Oper „Das Mädchen aus Domrémy“ durch unsere Opernschule. Den Abschluss bildet am 14. Dezember ein Konzert des Ensemble Earquake, u.a. mit einem Stück für Rockband, einem Tango mit Mundharmonika und der posthumen Uraufführung zweier kleiner Stücke für Flöte solo.

Bei so viel erfolgreicher Planung gab es naturgemäß auch ein paar gescheiterte Ideen: Ich war in Gesprächen mit dem Label Audite über eine CD-Edition der Rundfunkmitschnitte bzw. Produktionen von Klebes Opern, was sich aber letzten Endes wegen Urheberrechtsproblemen nicht realisieren ließ. Immerhin weiß ich jetzt dank der Recherche von Ludger Böckenhoff (Audite), dass in den Rundfunkarchiven hunderte Schätze an Klebe-Aufnahmen lagern (neben den genannten Opern auch solche Kostbarkeiten wie das Cellokonzert mit Wolfgang Boettcher und den Berliner Philharmonikern unter Daniel Barenboim), aber es ist praktisch unmöglich, diese zu heben und öffentlich zugänglich zu machen. Ebenfalls gescheitert sind alle Versuche, die Stadt Detmold, die Klebe noch 2002 zum Ehrenbürger ernannt hatte, zu einer wie auch immer gearteten Beteiligung am Festival oder einer sonstigen Ehrung ihres Ehrenbürgers zu bewegen. Die Akademie der Künste in Berlin, deren Präsident Klebe von 1986 bis 1989 als Nachfolger von Günter Grass und Vorgänger von Walter Jens war, brauchte ganze sechs Minuten, um meine Anfrage sehr harsch zurückzuweisen… Positiv ist immerhin, dass das Archiv der Akademie inzwischen den größten Teil von Klebes Nachlass (darunter auch das von mir per Schenkung überlassene Autograph seiner berühmtesten Komposition „Die Zwitschermaschine“ nach Paul Klee) verwaltet und auch die unveröffentlichten Frühwerke auf seiner Website erfasst hat. Die angedachte Vervollständigung und Digitalisierung des Klebe-Werkverzeichnisses von Michael Rentzsch (ISBN 3761812477) ist hingegen zumindest vorerst leider nicht finanzierbar.

Trotz dieser und ein paar weiterer Rückschläge wird es ein schönes, vielfältiges Festival geben, mit Werken aus allen Schaffensphasen, verschiedenster Besetzungen und großer stilistischer Bandbreite, gespielt bzw. gesungen von wunderbaren Musikern. Ich hoffe, dass es dazu beiträgt, diese dichte, ausdrucksstarke, plastische und vielfältige Musik auch über den unmittelbaren Anlass hinaus wieder mehr zu spielen bzw. zu hören. Es würde sich lohnen.

Alle Konzerte finden im Konzerthaus der HfM Detmold statt, nur das Konzert des Ensemble Earquake im Audienzsaal der Hochschule. Der Eintritt zu allen Konzerten ist frei.

Christian Köhn

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