Zwischen Göttern und Dämonen

Hans-Walter Schmuhls Studie über Martin Stephanis NS-Vergangenheit ist erschienen.

Wenige Tage vor dem 100. Geburtstag des Dirigenten und langjährigen Leiters der Musikhochschule Detmold Martin Stephani am 2.11.2015 gab der amtierende Rektor Prof. Dr. Thomas Grosse bei der Semestereröffnung bekannt, dass das Rektorat, statt Stephani mit einem Gedenkkonzert zu ehren, den Bielefelder Zeithistoriker Prof. Dr. Hans-Walter Schmuhl mit der Erforschung von dessen NS-Vergangenheit beauftragt habe. Das führte in Detmold sowie in der lokalen und überregionalen Presse zu teilweise kontroversen Diskussionen. Der Senat der Hochschule stellte sich hingegen in seltener Einmütigkeit hinter das Vorgehen des Rektorats. Über diese „Causa Stephani“ und ein erstes, vorläufiges Fazit von Hans-Walter Schmuhl war auch in diesem Blog zu lesen.

Nach fast dreijähriger Forschungsarbeit ist jetzt beim Allitera-Verlag in der Reihe „Beiträge zur Kulturgeschichte der Musik“ das Ergebnis veröffentlicht worden. Hans-Walter Schmuhl hat dabei erheblich mehr Quellen entdeckt und erschlossen, als zunächst zu hoffen war, darunter umfangreiche Bestände aus verschiedenen Archiven sowie Briefe aus Privatbesitz. Interviews mit Zeitzeugen vervollständigen das Bild, das sich so zu einer 350-seitigen beeindruckenden, aber auch bedrückenden Studie über das Leben eines Musikers im Spannungsfeld zwischen Kunst und Politik sowie seine nachträgliche Selbststilisierung zum angeblich „rein künstlerisch“ tätigen Musiker verdichtet. Besonders aufschlussreich ist dabei der Vergleich von Lebensläufen, die Stephani aus verschiedenen Anlässen zwischen 1937 und 1959 geschrieben hat. Minutiös weist Schmuhl eine „Vielzahl von Auslassungen, Verkürzungen, Verzerrungen und Umdeutungen“ nach und beweist dadurch „den Konstruktcharakter des hier entworfenen Narrativs“. Dieses Narrativ führte im Entnazifizierungsverfahren 1948 dazu, dass Stephani als „unbelastet“ eingestuft wurde (was für einige seiner überwiegend der älteren Generation angehörigen Verteidiger bis auf den heutigen Tag Grund genug ist, die Sache als abgeschlossen zu betrachten) und war damit die Basis von Stephanis beachtlicher Nachkriegskarriere. Derselbe Mann, der in einem Lebenslauf von Dezember 1944 stolz seine „Eignung als Nachwuchsdirigent von betont politischer Haltung“ herausstellte, behauptete wenige Jahre später, er sei „von jeher unpolitisch“ gewesen und habe im SS-Führungshauptamt „rein künstlerisch“ gewirkt. Die Quellen besagen etwas anderes: Er sah seine Aufgabe als Musiker darin, „dem Volk mit Hilfe der musikalischen Hochkultur den Zugang zum Metaphysischen zu eröffnen – und damit eine wahrhaft nationalsozialistische Weltanschauung zu vermitteln“. Nach anfänglicher Skepsis, sich der Hitlerjugend anzuschließen formulierte er später in privaten Briefen seine emphatische Unterstützung des „heiligen Kriegs“ und der Kriegsziele des nationalsozialistischen Deutschlands. Dazu zählte er ausdrücklich auch den weltanschaulichen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion („wohl die genialste Tat des Führers seit Kriegsbeginn“) und die Entrechtung und Verfolgung der Juden („es kann nicht mehr bestritten werden, dass sie das Gift sind u., bewusst oder unbewusst, die Welt des menschlichen Daseins der Auflösung entgegentreiben“). Zudem hat Stephani mit hoher Wahrscheinlichkeit auch aktiv zur Ausgrenzung Musiker jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft aus der Gesellschaft beigetragen, indem er im Januar 1942 maßgeblich am Erlass einer Verfügung des SS-Führungshauptamtes zu „Werken jüdischer, unerwünschter und empfohlener Komponisten“ mitwirkte, die zum Teil noch über das berüchtigte „Lexikon der Juden in der Musik“ hinausging.

Martin Stephani unterstützte nicht nur die nationalsozialistischen Eroberungziele sondern glaubte bis in die Endphase des Krieges an den „Endsieg“. Er distanzierte sich von den Attentätern des 20. Juli 1944, und noch Ende Dezember desselben Jahres schloss er seine Ehe „in öffentlichem Rahmen nach SS-Ritus“. Seine Nachkriegsbehauptungen, er habe sich für verfolgte Musiker eingesetzt, werden durch die Quellen nicht gestützt. Auch seine Parteinahme für Paul Hindemith wertet Hans-Walter Schmuhl nicht als „Beleg für eine grundlegend systemkritische Haltung, sondern Ausweis der Widersprüche und Spannungen innerhalb des polykratischen Herrschaftssystems des Nationalsozialismus“.

Nachdem Stephani die Entlastung im Entnazifizierungsverfahren erreicht hatte, stand seiner Nachkriegskarriere beinahe nichts mehr im Wege: Lediglich seine Bewerbung als Städtischer Musikdirektor in Bielefeld scheiterte 1949/50 noch an seiner braunen Vergangenheit, danach ging es mit den Stationen als Dirigent der Konzertgesellschaft Wuppertal 1951, der Anstellung als Dozent an der neugegründeten Nordwestdeutschen Musikakademie Detmold (heute Hochschule für Musik) 1957 und schließlich der Berufung zu deren Direktor zwei Jahre später steil bergauf. 23 Jahre prägte und gestaltete er eine Institution, die ihm bis heute viel zu verdanken hat. Gerade wegen Stephanis überragender Bedeutung gab es für die Hochschule keine andere Wahl, als sich endlich auch den Fragen zu stellen, die sich aus seiner Vergangenheit ergeben. Im Vorwort zu Hans-Walter Schmuhls Buch verweist der amtierende Rektor Thomas Grosse noch einmal auf die Verpflichtung der Hochschule, „als Bildungsinstitution […] ihren Studierenden deutlich zu machen, dass die Musik zwischen den Interessen von Kunst und Politik immer von einer Vereinnahmung und missbräuchlicher Verwendung bedroht ist.“ Das vorliegende Buch ist ein beeindruckendes Zeugnis dieser Erkenntnis.

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