Von Peter Westendorf

John Ireland wurde 1879 in Bowdon, Cheshire geboren, ungefähr 16 km von Manchester entfernt. Er war das fünfte und letzte Kind seiner Eltern. Sein Vater war bei Johns Geburt bereits 70 Jahre alt, seine Mutter 40, und sie starb 1893, als John 14 Jahre alt war. Sein Vater folgte ein Jahr darauf. Irelands Eltern waren ein unter Intellektuellen bekanntes Paar. Sein Vater, Alexander Ireland, leitete den Manchester Examiner, die Konkurrenzzeitung zum Manchester Guardian, dem sie letztlich unterlag. Beide Eltern waren Schriftsteller und veröffentlichten unter anderem Bücher über das Ehepaar Carlyle, Thomas Carlyle und Jane Welsh, die sie persönlich kannten.
Ireland hatte eine überwiegend unglückliche Kindheit, denn er wurde von seinen älteren Geschwistern schikaniert. Allerdings führten ihn die Musikalität seiner Mutter und das Klavierspiel seiner Schwestern zur Musik. Im September 1893 trat er in das Royal College of Music ein, und folgte damit seiner Schwester Ethel nach London, die bereits seit 1891 dort studierte. Einer seiner Lehrer dort war Charles-Villiers Stanford, der für seine gelegentlich rüden Unterrichtsmethoden gefürchtet war. Dem sensiblen Charakter von Ireland muss das arg zugesetzt haben, aber er hat sich später dennoch stets lobend über seinen Lehrer geäußert. Unmittelbar nach Johns Studienantritt starb jedoch seine Mutter, und sein Leben begann sich auf London zu konzentrieren.
Ireland verblieb bis 1901 am RCM, und kehrte später von 1923-1939 als Kompositionslehrer dorthin zurück. Seine Schüler waren u.a. Benjamin Britten, Alan Bush oder Ernest John Moeran. Als Unterhalt erhielt er eine knapp berechnete Beihilfe, die ihm sein Vormund bis zu seiner Volljährigkeit auszahlte. Um seine Einkünfte aufzubessern arbeitete Ireland aber auch als freischaffender Musiker, und verdiente sich als Kirchenorganist, Lehrer und Begleiter etwas dazu. Von 1904 – 1926 war er überdies als Chorleiter an der St. Lukes Church in Chelsea angestellt. In seinem dortigen Domizil „Gunters Grove“ hatte er eine für ihn sehr wichtige Ruhezone, wo er sich mit seinen Freunden traf, denn Freundschaften waren für ihn etwas sehr wichtiges.
1927 heiratete er eine wesentlich jüngere Schülerin, aber diese Ehe war (wie übrigens auch bei Tchaikovsky) ein komplettes Desaster, und sie wurde nach sehr kurzer Dauer annulliert. Eine wesentliche Rückzugszone waren für Ireland auch die Kanalinseln, die er immer wieder besucht hat.
Irland war stark von der englischen Poesie beeinflusst. Seine Vertonungen von A. E. Housman, Thomas Hardy, Christina Rossetti, John Masefield und Rupert Brooke gehören zu den bekanntesten seiner Werke. Auch die Musik aus Irland gehörte zu seinen Vorlieben, und sie hat auch seinen persönlichen Stil mit geprägt. Er liebte vor allem die englische Grafschaft Sussex, eine Landschaft mit sanften Tälern und (zu Irelands Zeit) isolierten Dörfern, wie z.B. Amberley mit seinen wilden Bächen, das ihm als Inspiration für eines seiner brillantesten Klavierstücke als Vorbild diente (Amberley Wild Brooks aus den „Two Pieces von 1922). 1953 zog Irland in eine umgebaute Windmühle in Rock Mill (s. Foto), wo er auch am 12. Juni 1962 verstarb.
Die letzten Jahre im Leben von John Ireland waren wohl, trotz seines sich verschlechternden Gesundheitszustandes, seine glücklichsten. Er hatte sich jedoch vom Komponieren zurückgezogen, was ihm unter anderem auch die zunehmende Popularität seiner Werke ermöglichte.
Irlands Musik wird der Schule des sog. „Englischen Impressionismus“ zugerechnet. Er wurde in den 1920er und 30er Jahren durch die Musik von Debussy, Ravel und die frühen Werke von Strawinsky und Bartók beeinflusst. Während bei vielen seiner Zeitgenossen wie Vaughan Williams oder Holst die musikalische Sprache stark vom englischen Volkslied geprägt war, entwickelt Irland einen komplexeren harmonischen Stil, der sich mehr den französischen und russischen Modellen annähert. Wie Fauré bevorzugt er intime Formen der Kammermusik, des Gesangs und der Klaviermusik, und weniger größere Orchester- und Chorwerke. Er schrieb weder Symphonien (im Gegensatz z.B. zu seinem Freund Arnold Bax, der 7 davon schrieb) noch Opern, aber zahlreiche Chorwerke. Sein Klavierkonzert hingegen ist wohl eines der besten aus der Feder eines Engländers und wurde durch die Freundschaft zu seiner Schülerin Helen Perkin inspiriert. Es ist ein Werk intensiver Gefühle und mit einer fast nostalgischen Atmosphäre.
Klavierwerke nach Kompositionsdatum (ohne Bearbeitungen eigener Werke):
- 1895 Pastoral
- 1895 In those days: Daydream, Meridian
- 1900 Sea Idyll
- 1912 Decorations: The Island Spell, Moon-Glade, The Scarlet Ceremonies
- 1913 The Almond Tree
- 1913 Three Dances: Gipsy dance, Country dance, Reaper’s dance
- 1913–1915 Four Preludes: The Undertone, Obsession, The Holy Boy, Fire of Spring
- 1915 Rhapsody
- 1917–1920 London Pieces: Chelsea Reach, Ragamuffin, Soho forenoons
- 1918 Leaves from a Child’s Sketchbook: By the mere, In the meadow, The hunt’s up
- 1918 Merry Andrew
- 1918 The Towing Path
- 1918–1920 Sonata (in E minor-major)
- 1919 Summer Evening
- 1921 The Darkened Valley
- 1921 Two Pieces: For Remembrance, Amberley Wild Brooks
- 1922 On a birthday morning
- 1922 Equinox
- 1922 Soliloquy
- 1924 Prelude in E flat major
- 1924–1925 Two Pieces: April, Bergomask
- 1926–1927 Sonatina
- 1927 Spring will not wait
- 1929 Ballade
- 1929–1930 Two Pieces: February’s Child, Aubade
- 1933 Month’s Mind
- 1937 Green Ways, three Lyric Pieces: The Cherry Tree, Cypress, The Palm and May
- 1940–1941 Sarnia: An Island Sequence: Le Catioroc, In an May Morning, Song of the Springtides
- 1941 Three Pastels: A Grecian Lad, The Boy Bishop, Puck’s Birthday 1949 Columbine
Wenn überhaupt, so dürfte Ireland bei Pianisten als jemand bekannt sein, der eine Fülle von kürzeren Genrestücken, meist mit programmatischen Titeln verfasst hat. Jedoch wurden viele Einzelstücke oft nachträglich zu Gruppen zusammengefasst, die neben einem thematischen Bezug (z.B.“ Sea Idyls“ oder „Decorations“) häufig auch einen literarischen Bezug aufweisen. Gemeinsam ist den meisten Stücken jedoch ein meist lyrischer Grundton, und eine naturnahe Stimmung.
Einzeldarstellungen
Sonate für Klavier
Die Sonate entstand zwischen 1918 und 1920 und ist wohl das ambitionierteste und auch längste Klavierwerk von Ireland. Der erste Satz steht in der Grundtonart e-Moll und nutzt kurze Motive und kontrastierende Themen, die dann im weiteren Verlauf subtil miteinander verwoben werden. Der zweite und um einiges längere Satz wechselt seine Stimmung zwischen kontemplativ und leicht bewegt. Auch hier ist die Nutzung mächtiger Akkorde und Oktavverdoppelungen ein auffälliges Stilmerkmal. Der dritte Satz beginnt in gemäßigtem Tempo, belebt sich dann etwas und mündet in eine Art Hymnus im dreifachen Forte. Nach einem eher ruhigen Zwischenspiel wird der musikalische Fluss wieder etwas bewegter und es entspinnt sich eine Melodie im Diskant über wogenden Sechzehnteln. Es folgt ein tänzerisches Thema mit scharf abgestoßenen Akkorden und einer markanten Melodie. Im weiteren Verlauf wird das Anfangsmotiv (h-gis-h) wieder aufgenommen und verarbeitet, und dann zu einem triumphalen Schluss geführt. Die eigentliche Grundtonart ist e-Moll, aber sie kommt nur recht selten vor. Auffällig sind zudem die zahlreichen Sekunden in den teils mächtigen Akkorden.
Two pieces (1921)
„For Remembrance“ Ein stark chromatisch gefärbtes Stück mit ausgesprochen melancholischem Grundton. Es klingt ein Motiv aus Parsifal an, welches möglicherweise auf einen Besuch des Musikdramas zurückgeht, oder zufällig in das Stück geraten ist.
„Amberley Wild Brooks“ Amberley liegt in der Grafschaft Sussex, die Ireland besonders liebte, und wo er auch seine letzte Ruhe fand. Die wilden und ursprünglichen Bäche dort müssen es ihm angetan haben, und inspirierten ihn zu einem Stück in leicht fließender Bewegung, mit einem stetigen Wechsel der Harmonien. Man hört hier den Einfluss Debussys recht deutlich, aber es ist weit entfernt von einem Plagiat. Irelands persönliche Handschrift ist stets zu erkennen.
Sarnia
Sarnia ist der römische Name für Guernsey, eine Insel im Ärmelkanal auf der Ireland als bereits 60-Jähriger eine für ihn unvergessliche Zeit verbracht hat. Er kannte die Inseln schon seit etwa 1900, da er auf Jersey zeitweilig als Chorleiter tätig war. Der äußere Anlass dort zu leben waren die kriegerischen Handlungen zu der Zeit, denen er zusammen mit seinem Freund und späteren Biografen John Longmire zu entkommen suchte, hatte er doch bereits die Schrecken des ersten Weltkrieges erfahren dürfen. Die einzelnen Stücke versuchen seine Stimmungen auf der Insel einzufangen.
„Le Catioroc“ evoziert die Begegnung mit einem keltischen Steingrab, und ist dreiteilig angelegt. Im ersten Teil überwiegt ein schreitender Rhythmus, über dem sich Koloraturen bewegen. Hier wird die Einsamkeit des Ortes beschworen. Im Mittelteil, einer Art Hexensabbat wird das Tempo schneller, und ein punktierter Rhythmus führt zu einer Klimax, die sich dann aber wieder beruhigt. Danach wird der Anfangsteil wieder aufgenommen.
„In a May Morning“ wird durch ein wundervolles Liedthema eine gelöste Stimmung im May beschworen. Besonders apart sind die harmonischen Veränderungen, die fast schon an Kompositionen von Cole Porter oder Irving Berlin erinnern. Man meint die Sonne scheinen zu sehen. Der Mittelteil knüpft wieder deutlich an die Vorbilder des musikalischen Impressionismus aus Frankreich an.
„Song of the springtides“ ist eine Studie vom Ufer des Meeres, mit sanft bewegten Wellen, aber auch aufspringender Gischt, und sich an Felsen brechenden Wellen. Hier wird die Stimmung an einem milden Frühlingstag eingefangen, und die Komposition datiert auch vom März 1941.
Four Preludes
Die Preludes wurden zu Beginn des ersten Weltkrieges komponiert, sind aber in einem eher unbeschwerten Tonfall geschrieben. „The Undertone“ basiert auf einem Ostinato aus 10 Tönen und wurde im ungewöhnlichen 5/8 Takt notiert. „Obsession“ (im Original „Mandrake“) ist ein sehr bewegtes Stück und nicht eben eingängig. Es wirkt eher sperrig. „The holy Boy“ zählt zu einer der Melodien, die Ireland häufiger benutzt hat. Vom Duktus ähnelt es etwas seiner Liedvertonung von „Sea fever“. Die Melodie ist gleichwohl sehr einprägsam, und man wird sie nach mehrmaligem anhören nicht wieder los. „The fire of Spring“ ist ein kurzes und sehr leidenschaftliches Stück mit fast bukolischem Charakter.
Two Pieces (1924-25)
„April“ ist nach einem bei Ireland häufig anzutreffenden Schema aufgebaut: einem ruhigen Eröffnungsteil folgt eine bewegtere Passage, die einem Höhepunkt zustrebt, um dann wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren, wie die Sonne, die nach einem heftigen Aprilschauer wieder scheint.
„Bergomask“ erinnert nicht nur im Titel an den ersten Satz der „Suite Bergamasque“ von Claude Debussy. Es ist in einem unbeschwerten Tanzrhytmus verfasst.
Decorations
Diese drei Stücke wurden während Aufenthalten auf den von Ireland bevorzugten Kanalinseln geschrieben, und ihnen ist jeweils ein Ausschnitt aus Gedichten von Arthur Symons vorangestellt, die so wunderschön sind, dass ich sie hier gerne zitieren möchte.
„The Island spell“ von 1912 könnte man als ein typisch impressionistisches Stück bezeichnen. Über einer Stimme im Diskant, die wie Glöckchen (like chiming) klingen sollen, wird im Bass eine gleichförmige Figur ausgeführt. Der sanft fließende Charakter der Musik (Ireland schreibt „in a clear delicate sonority“) wird im Mittelteil durch eine bewegte pentatonische Passage aufgelockert.
„I would wash the dust of the world in a soft green flood,
Here, between sea and sea in the fairy wood,
I have found a delicate, wave green solitude”
“Moon glade” ist ein träumerisches Stück, welches fortwährend harmonische Veränderungen erfährt.
„Why are you so sorrowful in Dreams?
I am sad in the night”
“The Scarlet Ceremonies” ist ein wild bewegtes Stück in gleißendem Licht und mit chromatischen Tremoli sowie auf- und abwogenden Skalen. Es verlangt dem Pianisten einiges an Viruosität ab, was bei Ireland eher selten der Fall ist.
Ballade
Dies ist ein düsteres Stück, welches in einer Phase emotionaler Niedergeschlagenheit entstand, als Irelands Ehe mit einer 30 Jahre jüngeren Studentin sich zu einem Desaster entwickelte. Es herrscht ein fast permanent bedrohlicher Unterton. Das Stück wird von einem ostinaten Triolenmotiv (d-cis-e bzw. darauf beruhenden Abwandlungen) durchzogen. Chromatik und Dissonanzen sind ein ebenfalls charakteristisches Stilmittel. Trotz aller Düsternis endet das Stück jedoch mit einem triumphalen Aufschwung. Vielleich der Ausdruck einer überstandenen Krise?
Diskografie
Irleland’s Klaviermusik ist recht umfangreich auf Tonträgern dokumentiert, und es gibt 4 mehr oder weniger vollständige Gesamteinspielungen:
- John Lenehan, Naxos
- Eric Parkin, Chandos
- Alan Rowlands, Lyrita
- Mark Bebbington, Somm
Diejenige mit Mark Bebbington enthält alle Werke einschließlich einiger Bearbeitungen. Auch vom Klavierkonzert gibt es eine größere Anzahl von Aufnahmen. Zu empfehlen wären hier jene mit Piers Lane und dem Ulster Orchestra unter David Lloyd-Jones auf Hyperion, sowie jene mit Eric Parkin und dem London Philharmonic Orchestra unter Bryden Thompson auf Chandos.