Um die Harmonisierung einer Melodie zu üben, wählen wir zunächst ein ganz einfaches praktisches Beispiel: Das Lied "Wem Gott will rechte Gunst erweisen".
Der erste Schritt ist ein reales oder innerliches Vorsingen oder -spielen:
Die zur Grundtonart D-Dur gehörige Hauptkadenz lautet:
Wir versuchen nun, zunächst vor allem auf den rhythmischen und melodischen Schwerpunkten wie den Taktanfängen und Taktmitten, die passende Hauptfunktion zu "erhören". An manchen Stellen ist dies ganz einfach:
Zu Beginn des ersten Taktes ist nichts anderes als die Tonika denkbar, zu Beginn des vierten nur die Dominante. Der sechste Takt klingt ganz nach Subdominante-Tonika, davor ist sicherlich eine Tonika, der Schluss kann nur von der Dominante zur Tonika zurückkehren. Wir hören also innerlich ungefähr das Folgende:
In Takt 3 können wir uns vielleicht nicht sofort
zwischen Subdominante und Dominante entscheiden, aber der
direkte Klangvergleich bringt Klarheit:
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Die Dominante wirkt natürlicher; vor allem beim Melodieton e stört die Dissonanz zur Subdominante. Genauso entscheiden wir uns in Takt 5 für die Folge Dominante-Tonika, weil die Subdominante von Takt 6 sonst schon vorweggenommen wäre. Nach dieser Subdominante liegt eine Tonika nahe (auch Dominante möglich), so dass wir nun hören:
Etwas unbefriedigend ist noch die lange Tonika-Passage am Anfang. Es bietet sich ein Wechsel zur Subdominante in der ersten Taktmitte an. Die Tonika am Beginn des vorletzten Taktes ist ebenfalls nicht ideal, weil das melodisch und rhythmisch hervorgehobene "d" nicht durch einen Harmoniewechsel unterstrichen wird und weil die Schlusswirkung durch die kurze Dominante in der langen Tonika-Umgebung nur sehr schwach ist. Die Lösung ist ein Vorhaltquartsextakkord, der dann am Ende des Taktes aufgelöst wird, wodurch also der ganze vorletzte Takt dominantisch wird (diese Lösung mag zunächst wenig naheliegend erscheinen, ist aber eine sehr häufige und übliche Schlusswendung):
Aus dem obigen Beispiel lassen sich einige allgemeine Regeln für die Harmonisierung ableiten:
Harmonisiert man anhand der erarbeiteten Regeln das folgende Beispiel "Ich dank dir schon durch deinen Sohn", so bekommt man etwa folgendes Ergebnis:
Diese Grundfassung kann mehrfach variiert werden: An einigen Stellen sind andere Funktionen möglich, etwa im vorletzten Takt, wo das "a" der Melodie auch Sext zur Mollsubdominante (sixte ajoutée) sein kann, worauf dann eine Dominante folgen müsste, was bedeutet, dass das "g" ein Quartvorhalt wäre. Weitere Variationsmöglichkeiten ergeben sich durch Terzverwandte an Stelle von Hauptfunktionen (z.B. Tonika-Gegenklang statt Tonika am Anfang) sowie durch Verwendung von Sext- und und Quartsextakkorden (Terz bzw. Quint im Bass):
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